Ego by John von Düffel

Ego by John von Düffel

Autor:John von Düffel [Düffel, John von]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2015-05-19T16:00:00+00:00


3

»… und ich scheue mich nicht zu sagen, daß ich ihm sehr viel verdanke. Es würde Stickroth & Partner heute nicht geben, wenn er mich nicht in entscheidenden Fragen beraten hätte. Und er hat mir nie das gesagt, was ich hören wollte. Er hat mir Dinge gesagt, die weh getan haben, unbequeme, schmerzliche Wahrheiten. Gerade für das Unbequeme brauchst du einen Coach! Das einsehen zu müssen, ist manchmal hart. Doch wieviel härter wird es erst, wenn du es nicht rechtzeitig einsiehst.«

Corinna und Carola sehen so aus, als würden sie das von ihrem Vater nicht zum ersten Mal hören. Corinna tupft mechanisch auf ihrem Teller herum und schiebt sich die Reste des Mandelhörnchens in den Mund, das sie zum Nachtisch verspeist hat. Ihre fleischigen Oberarme schaukeln bei jeder Bewegung. Carola stützt die Ellbogen auf die Tischplatte und hält sich mit beiden Händen an ihrer Tasse fest. Sie ist dazu übergegangen, Kaffeesahne pur zu schlürfen. In der Herzkerbung ihrer weichen Oberlippe sammelt sich nach jedem Schluck ein kleiner weißer Tropfen, den sie genüßlich ableckt. Ich sehe ihre Zungenspitze, lahm und träge. Es herrscht eine Stimmung zum Hosenknopf öffnen.

»Menschenkenntnis«, fährt Stickroth fort und nimmt sich von der roten Grütze nach, »Menschenkenntnis heißt vor allem Selbsterkenntnis. Erkenne dich selbst, deine Stärken und Schwächen, nur dann schätzt du auch deine Gegner richtig ein. Für deine Schwächen brauchst du Personal, für deine Stärken einen Coach. Ich habe in meinem Leben überhaupt nur einen großen Schritt getan, ohne mich vorher mit meinem Coach zu beraten. Das war, als ich ihn zu meinem Partner gemacht habe.«

Corinna und Carola sehen mich mit glänzenden, glasigen Augen an. Sie wirken beinahe schläfrig in ihrer Verliebtheit, was sicher daran liegt, daß ihre Mägen mit der Zersetzung enormer Speisemengen beschäftigt sind. Bei dem zu leistenden Verdauungsaufwand dürfte sich die Zirkulation vorwiegend auf ihre inneren Organe beschränken. Daher ihr wiederkäuerhafter Blick, der mir keineswegs unsympathisch ist. Leider muß ich nach wie vor den Eindruck erwecken, als würde ich ihrem Vater zuhören. Seit zwanzig Minuten spricht Stickroth von der Unverzichtbarkeit des Coachings und der Geburt seiner Unternehmensidee aus dem Beratergedanken. Die rote Grütze auf seinem Teller schwindet schnell.

»Die meisten Menschen werden völlig falsch erzogen«, sinniert er, während ich mir immer wieder sagen muß, daß ich den Job noch nicht habe, »sie werden erzogen zu Höflichkeit, Bescheidenheit und Anstand, aber es fehlt auf ganzer Linie eine Erziehung zum Erfolg. Dafür braucht man einen Coach. Kein Sportler der Welt, selbst der talentierteste, hat jemals ohne einen Coach Erfolg gehabt. Man kann nicht alle Fehler selber machen, dafür reicht die Zeit nicht. Wer weiterkommen will, muß sich an jemandem orientieren, der weit gekommen ist. Er muß von dessen Erfahrungen profitieren und da weitermachen, wo …«

Ich nicke und höre weg. Es fällt mir leichter, die Form zu wahren, wenn ich nicht so genau mitbekomme, was gesagt wird. Eine große nachmahlzeitliche Schwere senkt sich von der Zimmerdecke herab. Die Blicke werden langsamer, verweilen. Corinna mit dem runden Rücken ist Corinna mit dem runden Bauch. Ihre Bluse wölbt sich beträchtlich über dem einschneidenden Hosenbund.



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